Wer die liberale Politik Emmanuel Macrons kennt und weiß, wie sehr er an einem "schlankeren Staat" und an Privatisierungen hängt, der merkt an diesem Donnerstagabend: Die Corona-Pandemie hat den französischen Präsidenten erschüttert. "Unsere absolute Priorität ist unsere Gesundheit. Die erste Lehre aus der Epidemie ist: Eine staatliche und kostenlose Pflege und Therapie für alle Menschen sind unersetzlich. Niemals darf dieses Gut in private Hände geraten." Es sei "verrückt", die Produktion von Nahrungsmitteln und die Heilung von Kranken an nicht staatliche Institutionen zu delegieren.

Es ist ein radikaler Kursschwenk, den Macron in seiner Fernsehansprache verkündet. Der liberale Politiker erwartet, dass das Coronavirus stark und dauerhaft die Gesellschaft verändern wird. Seine wichtigste Ankündigung an diesem Abend: Ab kommenden Montag werden "bis auf Weiteres" alle Schulen, Kindergärten und Hochschulen in Frankreich geschlossen bleiben. "Offenbar verbreiten die jungen Menschen das Virus am schnellsten. Um die Schwächsten unserer Gesellschaft zu schützen, sollten unsere Kinder, Jugendliche und Studierenden zu Hause bleiben", so Macron. Wenige Stunden zuvor hatte Macrons Bildungsminister Jean-Michel Blanquer noch angekündigt, nur Schulen zu schließen, in denen es nachgewiesenermaßen infizierte Lehrer oder Schüler gebe.

Am zweitstärksten betroffen in Europa

Aber die politischen Entscheidungen ändern sich in Frankreich so schnell
wie die Fallzahlen hochschießen: Frankreich zählte am Donnerstagabend 2.876 infizierte Menschen und 61 Todesopfer – und ist damit nach Italien das Land in der EU mit den meisten Opfern. Den ganzen Tag hatte sich der Präsident mit rund einem Dutzend Experten beraten. "Wir haben in Frankreich die besten Epidemiologen und sie alle haben mir gesagt: Das Virus wird sich nun schneller verbreiten. Daher müssen die Schulen geschlossen bleiben." Die einzelnen Regionen Frankreichs sollen nun dafür sorgen, dass die Kinder des Krankenhauspersonals außerhalb der klassischen Institutionen betreut werden können.

Die Schul- und Hochschulschließung ist die drastischste Ankündigung von Macron. Sie gehört zu einem Paket, das auch Hilfen für die angeschlagene Wirtschaft vorsieht. Steuern, die im März fällig werden, sollen etwa gestundet werden. Auch sieht Macron Entlastung bei Abgaben vor sowie "massive" Hilfen bei Kurzarbeit. Zudem habe er seine Regierung beauftragt, ein "nationales und europäisches Konjunkturprogramm" auszuarbeiten. In dem rund 20 Minuten dauernden Auftritt sprach sich der Präsident gegen nationale Alleingänge bei Grenzschließungen aus. Darüber könne nur auf europäischer Ebene entschieden werden.

Wahlen sollen stattfinden

Für Diskussion wird sicherlich noch Macrons Entscheidung sorgen, die Kommunalwahlen am kommenden Sonntag stattfinden zu lassen. "Ich vertraue den Bürgermeistern, die Kommunalwahlen so sicher wie möglich ablaufen zu lassen. Wir müssen darauf achten, dass das demokratische Leben weitergeht." "So sicher wie möglich" heißt für Macron beispielsweise, dass es nicht zu langen Warteschlangen komme und zwischen den Wahlhelfern und den Bürgerinnen und Bürgern ausreichend Distanz gebe. So recht passt die Wahl allerdings nicht zur Empfehlung Macrons, dass alle Menschen über 70 Jahren oder Menschen mit Behinderungen so wenig wie möglich aus dem Haus gehen sollten. Wenn sich diese Gruppe tatsächlich nachweislich auch seltener an die Urne traut, drohen die Wahlen für alle französischen Rathauschefs in einem gewissen Maße verfälscht zu werden.

Verschiedene Politiker hatten gefordert, die Wahlen am Sonntag und die darauf folgende Stichwahl am 22. März zu verschieben. Nicht nur wegen des – nach Ansicht vieler Virologen – geringen Risikos, sich in der Wahlkabine anzustecken. Sondern vor allem, weil viele Menschen es nicht wagen werden, wählen zu gehen. "Was, wenn der zweite Wahlgang nicht stattfinden kann?", schrieb der LREM-Abgeordnete, Jean-Louis Bourlanges wenige Stunden vor Macrons Rede auf Twitter. Seiner Meinung nach würden vor allem ältere Wähler nicht zur Urne gehen. "Die Wahl aufrechtzuerhalten, ist zu waghalsig."